Gedichte - Zeit - Tag - Nacht

Froh bin ich, daß ich aufgeblüht In deinem runden Kranz; Zum Dank trüb' ich die Quelle nicht Und lobe deinen Glanz! Gottfried Keller, 1819-1890 - Das Heute Das Heut ist einem jungen Weibe gleich. Schlag Mitternacht wird ihm die Wange bleich. Es schaudert. Einen vollen Becher faßt Es gierig noch und schlürft in toller Hast. Der üppge Mund, indem er lechzt und trinkt, Entfärbt sich und verwelkt. Der Becher sinkt. Langsam zieht es den Kranz sich aus dem Haar. Das Haar ergraut, das eben braun noch war. Tief runzelt sich das schöne schuldge Haupt. Zusammenbricht das Knie, der Kraft beraubt. Die Horen kleiden dicht in Schleier ein Und führen weg ein greises Mütterlein. Conrad Ferdinand Meyer, 1825-1898 - Wie langsam kriechet sie dahin , Die Zeit, die schauderhafte Schnecke! Ich aber, ganz bewegungslos Blieb ich hier auf demselben Flecke. In meine dunkle Zelle dringt Kein Sonnenstrahl, kein Hoffnungsschimmer, Ich weiß, nur mit der Kirchhofsggruft Vertausch ich dies fatale Zimmer. Vielleicht bin ich gestorben längst; Es sind vielleicht nur Spukgestalten Die Phantasien, die des Nachts Im Hirn den bunten Umzug halten. Es mögen wohl Gespenster sin, Altheidnisch göttlichen Gelichters; Sie wählen gern zum Tummelplatz Den Schädel eines toten Dichters. — Die schaurig süßen Orgia, Das nächtlich tolle Geistertreiben,

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