Gedichte - Zeit - Tag - Nacht

Werd` ich dich wiedersehn? Kann je, was Liebe hier Erwarb, verloren gehn? Und weißt du noch von mir? O gib mir, hast du Macht, Ein Zeichen noch so stumm! — Da schlug es Mitternacht Und zaudernd blickt` ich um. Ein süßes Duften flog Vom Kranz, der zitternd hing, Und um die Lampe zog Ein weißer Schmetterling. Franz Emanuel August Geibel, 1815-1884 - Gruß an die Nacht Wie hast du mich so müde gemacht, O Tag mit deiner leuchtenden Pracht, Mit deiner Farben buntem Schein, Mit deinen rauschenden Melodei’n! Willkommen, o Nacht! und decke du Die Erde mit deinem Schleier zu, Lass schwinden die Farben, die Töne verwehn, Lass alles Leben um dich vergehn, Und lasse mich träumen, allein mit dir, Vom leuchtenden Himmel hoch über mir. Julius Sturm, 1816-1896 - Wochentage Ein Stückchen Sonntag Hat man bei der Arbeit eine Pause eingeschaltet, halten die Gedanken eine kleine Weile Rast. Sieht ganz nebenbei, indem man seine Hände faltet, durch das Fenster einen Vogel drüben auf dem Ast. Wie durch dichten Nebel hört man die Fabriksirene. Sie erinnert an das Meer, an eine ferne Zeit. Man durchträumt aus vielen Jahren das erlebte Schöne in den wenigen Minuten der Beschaulichkeit.

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