über Sprache Dichtkunst Poesie Poetik
An unsere Sprache Reine Jungfrau, ewig schöne, Geist'ge Mutter deiner Söhne, Mächtige von Zauberbann, Du, in der ich leb' und brenne, Meine Brüder kenn' und nenne Und dich selber preisen kann! Da ich aus dem Schlaf erwachte, Noch nicht wußte, daß ich dachte, Gabest du mich selber mir, Ließest mich die Welt erbeuten, Lehrtest mich die Rätsel deuten Und mich spielen selbst mit dir. Spenderin aus reichem Horne, Schöpferin aus vollem Borne, Wohnerin im Sternenzelt! Alle Höhn hast du erflügelt, Alle Tiefen du entsiegelt Und durchwandelt alle Welt. Durch der Eichenwälder Bogen Bist du brausend hingezogen, Bis der letzte Wipfel barst; Durch der Fürstenschlösser Prangen Bist du klingend hergegangen, Und noch bist du, die du warst. Stürme, rausche, lispl' und säusle! Zimmre, glätte, hau' und meißle, Schaffe fort mit Schöpfergeist! Dir läßt gern der Stoff sich zwingen, Und dir muß der Bau gelingen, Den kein Zeitstrom niederreißt. Mach' uns stark an Geisteshänden, Daß wir sie zum Rechten wenden, Einzugreifen in die Reih'n. Viel Gesellen sind gesetzet, Keiner wird gering geschätzet, Und wer kann, soll Meister sein. Friedrich Rückert, 1788-1866
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