Gedichte Licht-Schatten-Farben-Sinne-Wahrnehmung
Giebelzimmerwohnungen befanden. Vor jedem dieser Häuschen war ein kleiner Vorgarten mit einem dünnen Eisenzaun nach der Straße hin. Hier draußen, zerstreut in diesen winzigen Wohnungen, lebten viele der großen Geister jener Zeit. Geistige Bergwerksarbeiter, die nach den Goldadern in Gedankengruben suchten, nach ungeprägtem Golde. Gold, das heute aus ihrer Hand genommen, als Münze im Volk von Hand zu Hand wandert. Da lernte ich Wilhelm Bölsche kennen, da besuchte ich an einem Abend Max Halbe. Da wohnten Gerhart Hauptmann und auch Bruno Wille und mancher andere. Als ich an jenem Tage zum Hause Ola Hansons kam, bog vor mir ein Briefträger in den Vorgarten ein und gab einem Herrn, der ihn hinter dem Zaun erwartete, einige Briefe. Ich erkannte sofort Strindberg, trotzdem ich ihn noch nie in der Nähe gesehen hatte. Ich mußte wieder staunen über den ungemein kleinen Mund, der in keinem Verhältnis zu der riesigen Schädellast stand. Strindberg studierte die Adressen seiner eben empfangenen Briefe und sah nicht auf, als ich am Zaun vorüber in das Haus trat, um bei Ola Hanson anzuklopfen. Später im Gespräch sagte Frau Laura Marholm zu mir: «Wissen Sie schon, daß Strindberg bei uns wohnt? Er ist seit ein paar Tagen in Berlin.» «Ja», sagte ich, «ich glaube, ich habe ihn eben am Gartengitter gesehen. Der Briefträger brachte ihm die Post.» Einen Augenblick war Frau Marholm ganz verblüfft. Dann wurde sie zornrot und sagte, sich zum Lachen zwingend, zu ihrem Mann: «Da siehst du, was ich dir sagte, Strindberg ist auf jedermann argwöhnisch! Er will, seine Post selbst in Empfang nehmen. Er traut nicht seinen besten Freunden.» Und dieser Ausspruch wurde mir später noch in viel stärkerer Weise von Eduard Munch in Paris bestätigt. Einige Jahre später forderte mich Munch einmal auf, in seinem Atelier seine neue Holzschnittart für ein Mappenwerk anzusehen. Und als er unter anderen Bildern den Porträtkopf Strindbergs hervorholte und ihn mir zeigte, sagte er und deutete dabei auf die Atelierwand: «Hier nebenan hat bis gestern Strindberg gewohnt. Er ist aber jetzt ganz verrückt geworden. Sehen Sie, was er mir geschrieben hat! Diese Postkarte bekam ich heute früh von ihm. Lesen Sie!»
RkJQdWJsaXNoZXIy MjA3NjY=