Gedichte Lebensstufen - Lebensalter
Reicher in Fülle der Kraft, keins heißer in drängendem Streben. Danach folget der Herbst, der ohne das Feuer der Jugend Reif dastehet und mild und zwischen dem Greis und dem Jüngling Mäßig in Mitten sich hält, schon grau an den Schläfen gesprenkelt. Schaurig mit wankendem Schritt kommt endlich der greisende Winter, Völlig der Haare beraubt, und trägt er sie, weiß an dem Haupte. Publius Ovidius Naso - Ovid, 43 v. Chr. bis ca. 17 n. Chr. - Das Alter Das Alter ist ein höflich Mann: Einmal übers andre klopft er an; Aber nun sagt niemand: Herein! Und vor der Türe will er nicht sein. Da klinkt er auf, tritt ein so schnell, Und nun heißt's, er sei ein grober Gesell. Johann Wolfgang von Goethe, 1749-1832 - Die Jahre Wie die fortgeworfenen Schalen von Nüssen, Wertlos und einsam, machen die Zahlen, Die von allen Jahren den Menschen bleiben müssen, In alten Blicken, den stillen und kahlen, Liegen die toten Jahre in Scharen, Die niemals aus dem Blut dir gefahren, Die in dir sich begraben wie in einem Spind Und dort wie mottenzerfressene Gewänder sind. Sie rascheln Tag und Nacht bei dir allein, Und nie mehr kann es um dich stille fein. Du sehnst den Tod und möchtest vom Frieden nur einen Happen. Der Tod ist wie ein neues Kleid vor deinen alten Jahreslappen. Schon gehen dir täglich viel Freunde im Tod verklärt um, Und die lebenden sind nie zu dir so zärtlich stumm. Da ist kein Stuhl drinnen im ganzen Hause mehr, Wo du sitzen könntest. Kein Stuhl ist von den Toten leer. Aber die Lebenden, die jungen, die noch lärmen, Sehen nichts als Durst und Hunger in den eigenen Därmen.
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