Nie war die eine
Liebesnacht in deinem Schoß
der andern gleich
Nie war die eine Liebesnacht
In deinem Schoß der andern gleich,
Dein Leib ist ein Septembermond
An immer neuen Früchten reich.
Die Brüste sind ein Traubenpaar,
Und drinnen pocht der junge Wein,
Die Augen sind ein Himmelstor
Und lassen meine Wünsche ein.
Du und ich
Du und ich!
Wunschlose Seligkeit
Strömt deine Nähe über mich.
Der Alltag wird zur Sonntagszeit,
Unsterblich schlingt das Leben sich
Um uns. Und Menschengöttlichkeit
Fühl' ich bei dir durch dich.
Was einst gewesen, weiß ich kaum.
Die enge Welt wird weiter Raum.
Und Holz wird Eisen, Eisen Holz
Und Stolz wird Demut, Demut Stolz.
Gar wunderbare Weisen
Singt dann bei seinen Kreisen
Mein Blut im Paradies für mich.
Es haben alle Wünsche Ruh', -
Ich weiß nicht mehr, wer bist dann du.
Ich weiß nicht mehr, wer bin dann ich.
Deine Küsse, deine Brüste,
deine Arme
Pressen noch lüstewarm meinen Leib.
Dein Blut, dein Fleisch
Ruht noch lüstewarm an mir.
Meine Schritte schallen,
Meine Schritte fallen härter von Stein zu Stein,
Die Erde nimmt mich in ihre Mitte,
Verwundert fällt es mir ein:
Wir lagen draußen im Weltenraum,
Wir beide allein.
Einst werden Sonn' und Sterne kalt
Du liegst so gut in meinem Arm,
So gut ruht nur in mir mein Herz.
Wir schweben wie das Feuer fort
Und leben nur der Küsse Leben.
Einst werden Sonn' und Sterne kalt,
Uns hat der Tod vergessen müssen,
Und tausend, tausend Jahre alt
Leben wir noch in jungen Küssen.
Die Liebe
Ach, gibt es ein göttlicher Weh als die Liebe,
Gibt es ein köstlicher Glück als ihr Leid,
Streift sie auch nur mit dem Finger dein Kleid
Mitten im sinnlosen Straßengetriebe!
Liebe fühlt fein, wie ein Nackter im Grase,
Liebe im Aug' sieht den Winter noch grün,
Macht auch den Waffenlosen todkühn
Und trutzig dein Herz zum Prellstein der Straße.
Mehr als die Weisen kann Liebe begreifen,
Liebe gibt tausend Glühlampen dem Geist,
Liebe hat alle Sternbahnen bereist,
Liebe ist rund um das Weltall ein Reifen.
Mit dem Liebe gerungen, der nur ist Ringer,
Wer um Liebe gelitten, der nur hat Ruhm;
Wer die Liebe verschwiegen, der nur war stumm;
Wer aus Liebe gesungen, der nur war Singer.
Wenn wir lieben
Wenn wir lieben, sind wir zeitlos,
Liegen bei den tiefsten Feuern,
Sehen dann von Ferne bloß,
Daß die Lebensstunden sich erneuern.
Werden wie die Gottheit groß,
Fühlend in die Höhen, Tiefen, Breiten,
Wissend alles, was vorüberfloß
An den Quellen der Unendlichkeiten.
Wissend, liebend jed' Geschehen,
Mitgenießend alles, was die Welt genoß,
Sehend, ohne mit dem Aug' zu sehen,
Untergehend und bestehend Schoß im Schoß.
Ultra Violett
das Einsame, sprach zu mir:
Noch lebe ich unsichtbar.
Aber ihr könnt mich alle empfinden.
Versucht es mich zu erkennen.
Ich will euch neue Sonnen,
Neue Welten geben.
Immer Lust an Lust sich hängt
Alle Dinge können sehen.
Sag nicht, daß sie blind dastehen.
Sag nicht, daß sie dunkel gehen.
Häuser, Bäume, Wege, Wind,
Stühle, Tische, Bett und Spind,
alle Dinge sehend sind.
Alle Dinge können denken.
Nicht nur Stirnen Geist dir schenken,
Alle Dinge Geister lenken.
Kleiner Mücken grauer Zug,
Spinnwebfaden leis im Flug;
jeder Grashalm denkt genug.
Und es lieben alle Dinge.
Wie die Vögel mit Gesinge
Liebt sich alle Welt im Ringe.
Eines hin zum andern drängt,
Jedes seine Lust sich fängt.
Immer Lust an Lust sich hängt.
Max Dauthendey, geboren 1867, gestorben 1918, war ein deutscher Schriftsteller. Er war der Bruder der Schriftstellerin Elisabeth Dautendey.
Dauthendey debütierte mit dem Gedichtband Ultraviolett (1893), dem 1905 Die ewige Hochzeit und Der brennende Kalender folgten. Impressionistische Stimmungsmalerei, reich an Sinnesanalogien, prägt diese Werke ebenso wie das poetische Die geflügelte Erde (1910). In seinen späteren Prosawerken widmete sich Dauthendey mit Vorliebe exotischen Motiven, unter anderem in Die acht Gesichter am Biwasee (1911). Zu seinen weiteren Werken zählen seine Autobiografie Der Geist meines Vaters (1912) sowie Gedankengut aus meinen Wanderjahren (zwei Bände, 1913). Dauthendey starb auf Java, wo er vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs überrascht wurde und dann bleiben musste. Dauthendeys Gesammelte Werke wurden 1925 in sechs Bänden veröffentlicht.
Literarisches Werk
Seine freie und rhythmische, von Farbe und Ton geprägte Lyrik und Prosa, in der sich die Erfahrungen seiner Reisen durch Asien widerspiegelten, machten ihn zu einem der bedeutendsten Vertreter des Impressionismus in Deutschland. Dautenday entfernte sich vom Naturalismus seiner frühen Werke und übertraf in seinen späteren Werken mit seiner sprachlichen Dynamik und radikalen Abstraktion sogar die künstlerischen Mittel des Impressionismus, sodass er als einer der Vorläufer des literarischen Expressionismus gelten kann.
Max Dauthendey - Die acht Gesichter am Biwasee
Die acht Gesichter am Biwasee "Neue Brüder sind sichtbar geworden", riefen die Japaner schon vor hundert Jahren. "Bäume, die früher nur dazu da waren, Früchte und Holz zu tragen, Flüsse und Seen, die nur Fische und Seegras anboten, Hügel und Berge, welche Steine und Metalle den Menschen hinhielten, haben jetzt Seele und Gesicht. Die Seelen der Landschaften sind uns herzliche Brüder geworden. Sie, die bisher unsichtbar waren, zeigen uns heute leidenschaftliche Gebärden."– Am Biwasee, der hinter den Bergen, nahe der uralten Kaiserstadt Kioto, liegt, haben die Japaner acht Landschaftsgesichter von unsterblicher Leidenschaft entdeckt.
Die acht Gesichter am Biwasee heißen: Erstens: Die Segelboote von Yabase im Abend heimkehren sehen. Die Dichter vergleichen die Seele dieses Landschaftsgesichtes mit dem Herannahen einer liebesseligen Schicksalswende. Zweitens: Den Nachtregen regnen hören in Karasaki. Dieses Gesicht beschwört die Sprache liebesseliger Vergangenheit und liebesseliger Zukunft. Drittens: Die Abendglocke des Miideratempels hören. Dieses Gesicht singt das Lachen einer liebenden Frauenstimme, das weiser macht als alle Weisheit. Viertens: Sonnenschein und Brise von Amazu. Dieses Gesicht spricht von Liebesberückung und Liebesbetörung. Fünftens: Dem Flug der Wildgänse nachsehen in Katata. Dieses Gesicht spricht von der Geheimschrift der Liebeserklärung. Sechstens: Den Herbstmond aufgehen sehen in Ishiyama. Beplaudert und rührt die Wunder der Liebe an. Siebentens: Das fließende Abendrot zu Seta. Dieses Gesicht spricht von seliger Blindheit hitziger Liebesleidenschaft. Achtens: Den Abendschnee am Hirayama sehen. Die Seele dieses Landschaftsgesichtes spricht vom erhabenen Wahn unglückseliger Liebe.
Siehe auch die Biografie von Max Dauthendey.
Siehe auch: