Gedichte - Naturlyrik - Flora Fauna

Die letzte Kornblume Sie ging, den Weg zu kürzen, übers Feld. Es war gemäht. Die Ähren eingefahren. Die braunen Stoppeln stachen in die Luft, Als hätte sich der Erdgott schlecht rasiert. Sie ging und ging. Und plötzlich traf sie Auf die letzte blaue Blume dieses Sommers. Sie sah die Blume an. Die Blume sie. Und beide dachten (Sofern die Menschen denken können, dachte die Blume...) Dachten ganz das gleiche: Du bist die letzte Blüte dieses Sommers, Du blühst, von lauter totem Gras umgeben. Dich hat der Sensenmann verschont, Damit ein letzter lauer Blütenduft Über die abgestorbene Erde wehe — Sie bückte sich. Und brach die blaue Blume. Sie rupfte alle Blütenblätter einzeln: Er liebt mich – liebt mich nicht – er liebt mich... nicht. — Die blauen Blütenfetzen flatterten Wie Himmelsfetzen über braune Stoppeln. Ihr Auge glänzte feucht – vom Abendtau, Der kühl und silbern auf die Felder fiel Wie aus des Mondes Silberhorn geschüttet. Klabund, 1890-1928 -

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